Nach dem Bürgerentscheid: wie steht es um die letzte Hauptschule in Siegen?

Ganztagshauptschule Achenbach

Nach der großen Resonanz und dem mehr als deutlichen Ergebnis des Bürgerentscheides im vergangenen Jahr zugunsten des Erhaltes der Schulvielfalt in Siegen, für die wir gemeinsam mit den Schulen gekämpft haben, haben wir uns vor Ort nach dem Stand der Dinge erkundigt und wollten konkret wissen: wie steht es nach dem positiven Entscheid um Siegens einzige verbliebene Hauptschule? In Achenbach stand uns Schulleiter Christoph Henrichs mit seinem Kollegium Rede und Antwort.

GfS | Herr Henrichs, vor gut anderthalb Jahren haben Ihnen die Bürgerinnen und Bürger in Siegen beim ersten Bürgerentscheid in der Krönchenstadt den Rücken gestärkt und sich mit gut 80 % für den Erhalt Ihrer Schule ausgesprochen. Dementsprechend müsste doch nun alles in trockenen Tüchern sein und der Schulbetrieb wieder normal weiterlaufen, oder?
C.H. | Leider ist es nicht ganz so einfach. Zur Zeit haben wir in diesem Schuljahr keine Klassen 5 und 6 mehr. Wir konnten zwar im letzten Februar und auch in diesem Februar am Aufnahmeverfahren teilnehmen, allerdings gab es in beiden Jahren zu wenig Anmeldungen, so dass keine Eingangsklasse gebildet werden konnte.

GfS: | Aber das war doch in den Jahren davor zu diesem Zeitpunkt ähnlich, oder nicht?
C.H. | Das ist richtig. In den letzten 15 Jahren war das immer so. Die Stadt Siegen hat daraufhin als Schulträger einen Antrag bei der Bezirksregierung auf Sondergenehmigung für die Bildung einer Eingangsklasse gestellt. Dieser wurde jedes Mal genehmigt, weil man sich in Siegen und auch in Arnsberg sicher war, dass bis August zum Beginn des neuen Schuljahres die Mindestanzahl von 18 Schülerinnen und Schülern erreicht würde, was uns dann auch jedes Jahr gelungen ist. Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid hat die Stadt Siegen diesen Antrag aber leider nicht mehr gestellt.

GfS | Da müssen wir jetzt nochmal nachhaken. Obwohl die Bürgerinnen und Bürger sich ganz klar für den Erhalt der Hauptschule ausgesprochen haben, hat die Stadt Siegen trotzdem seit 2023 keine Sondergenehmigung mehr beantragt? Welche konkreten Folgen hat denn dieses Verhalten jetzt für die Hauptschule und die Schullandschaft in Siegen?
C.H. | Für unsere Schule heißt das zuerst einmal, dass wir als jüngsten Jahrgang die Klasse 7 haben, in der in diesem Jahr über 20 Schülerinnen und Schüler als Seiteneinsteiger hinzugekommen sind. Diese Schüler kommen hauptsächlich von der Realschule. Aber auch durch Zuzüge (bspw. von Flüchtlingen / Familienzusammenführungen) oder Umzüge aus anderen Kommunen. Insgesamt haben wir, Stand jetzt, 44 Schülerinnen und Schüler als Seiteneinsteiger hinzubekommen. Die Hauptschule ist also weiterhin eine wichtige Schulform in der Stadt Siegen.

GfS | Können Sie das bitte verdeutlichen?
C.H. | Wenn die Stadt Siegen als Schulträger weiterhin neben den vier Gesamtschulen auch auf alle Gymnasien als weiterführende Schulen setzt, fehlen für ein funktionierendes dreigliedriges Schulsystem in der Konsequenz die Hauptschule, weil es ja auch die Realschule weiterhin geben wird. Eltern können heutzutage ihre Kinder an jeder Schulform anmelden, soweit Plätze vorhanden sind. Daraus folgt aber leider oft, dass Schülerinnen und Schüler an den gewählten Schulen überfordert sind und abgeschult werden. Dafür bedarf es letztlich auch der Hauptschule.

GfS. | Dadurch rollt aber im nächsten Jahr ein Problem auf uns zu, oder nicht?“
C.H. | Ganz genau, da wir ab dem Sommer auch keine Klasse 7 mehr haben, werden abzuschulende Schülerinnen und Schüler nach der Klasse 6 an den Siegener Gesamtschulen unterkommen müssen, an denen aber kein Platz mehr ist.

GfS | Diese Gefahr sehen wir auch.
C.H. | Abgesehen von den Rückläufern von anderen Schulen sind wir als Hauptschule Achenbach auch für viele weitere herausfordernde Schülerinnen und Schüler der geeignete Schulplatz. In unserer Schule unterrichten wir über 40 DaZ-Schüler (Deutsch als Zweitsprache) und über 30 Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Förderschwerpunkten, zum Beispiel Jugendliche mit Lernbehinderungen oder emotional-sozialen Auffälligkeiten. Dafür sind wir sehr gut aufgestellt und alle Kolleginnen und Kollegen arbeiten sehr gerne in unserer Schule. Der Personalschlüssel ist bei uns besser als an anderen Schulen und wir haben weiteres pädagogisches Personal (zwei Schulsozialarbeiter und zwei Förderlehrerinnen), die uns unterstützen. Zusätzlich arbeiten auch zwei pensionierte Lehrkräfte ehrenamtlich bei uns.“

GfS | Schön zu hören, dass eine Schule über so viel Expertise verfügt!
C.H. | Bei uns gilt das Motto: Lernen durch Beziehung. Nur wenn die Lehrerin oder der Lehrer eine gute Beziehung zu seinem Schüler aufbaut – gerade bei unseren herausfordernden Schülern – ist Lernen möglich. Im Zentrum unserer Arbeit steht eine wertschätzende und integrative Zusammenarbeit zwischen den Schülerinnen und Schülern, Eltern, Erziehungsberechtigten, Lehrkräften und dem pädagogischen Fachpersonal. Immer wieder wird mir aus der Schülerschaft gespiegelt, dass Sie sich gerade in unserem kleinen System, wo jeder jeden kennt, wohlfühlen.

GfS | Abschließend, was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
C.H. | Natürlich ist der oberste Wunsch, dass unsere Hauptschule erhalten bleibt. Ganz einfach, weil sie für die Großstadt Siegen wichtig ist. Die Stadt Siegen als Schulträger hätte ein funktionierendes dreigliedriges Schulsystem vorzuweisen und letztendlich würden, auf die Zukunft hin gesehen, viele heute herausfordernde Schüler bei uns die Kurve bekommen und später nicht der Gesellschaft im Sozialsystem zur Last fallen.

GfS | Vielen Dank für das sehr informative Gespräch. Viele Bürgerinnen und Bürger werden dies bislang noch gar nicht gewusst haben.